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Aussergewöhnliche Extravaganz: Renzo Mongiardino und das Kulm Hotel

Aussergewöhnliche Extravaganz: Renzo Mongiardino und das Kulm Hotel


Unter Designliebhabern und -sammlern gilt der italienische Architekt Renzo Mongiardino als Bezugsgrösse und wird in Verbindung gebracht mit einigen der berühmtesten und inspirierendsten Inneneinrichtungen seit den 1960er-Jahren. Die von ihm geschaffenen Werke, die in unvergleichlich poetischer Weise das Kunsthandwerk der Vergangenheit zelebrieren, wurden für eine internationale Elitekundschaft – darunter Prinzessin Lee Radziwill oder die Dynastien Rothschild, Versace und Agnelli – entworfen, weshalb sie überwiegend im privaten Bereich zu finden sind. Fast 30 Jahre später bleibt der von ihm entworfene Eingangs- und Lobbybereich des Kulm Hotels in St. Moritz eines der wenigen Projekte des Meisters, das einem breiteren Publikum zugänglich ist. Und doch birgt es noch immer Geheimnisse, die es zu lüften gilt.

Wer das Kulm Hotel betritt, begibt sich in eine Welt der Extravaganz. Ganz in der Tradition eines Grandhotels fungieren der Eingang und die Lobby seit jeher als Knotenpunkt für die sich in dem weitläufigen Gebäude abspielenden Interaktionen. Hier finden informelle oder geschäftliche Besprechungen, spontane Treffen oder Amtsgeschäfte statt. Und hier, wie vielleicht nirgendwo sonst, versprühen diese zentralen Orte einen ganz besonderen Charme, der von Geschichten, Legenden und einer gewissen Magie geprägt ist, dessen Wurzeln in der Vergangenheit wie auch in der Gegenwart liegen und der in einem unvergleichlichen, herrschaftlichen Stil zum Ausdruck kommt.

Hier kommt die feinsinnige Kunst von Lorenzo «Renzo» Mongiardino zum Tragen, und zwar seit 1997 als der Architekt die beiden Räume nur wenige Jahre vor seinem Tod und am Ende einer wahrlich produktiven Karriere fertigstellte, deren Mittelpunkt sein Architekturbüro in Mailand war.

Bereits in früheren Jahren hatte Mongiardino bemerkenswerte Bühnen- und Filmdekorationen geschaffen – seine ersten Auftraggeber waren die Regisseure Franco Zeffirelli und Gian Carlo Menotti. In der Folge entwarf er eigenhändig die Dekorationen für renommierte Häuser wie das La Fenice oder die Mailänder Scala und arbeitete an Opern und Balletten mit Starbesetzung wie Tosca oder Nurejews Nussknacker mit.

Der in Genua geborene Mongiardino machte sich auch mit einer Reihe privater Projekte in den Lieblingsdestinationen seiner Kunden einen Namen, sei es mit Landhäusern oder Apartments in den geschäftigen Hauptstädten der Welt. Zwar ist seine Arbeit für das Kulm nicht seine einzige im Engadin – er wurde von Marella Agnelli mit dem Entwurf der Chesa Alcyon in den Suvretta-Hügeln beauftragt – dennoch ist dieses Projekt ein Meilenstein, da es eine seiner letzten Arbeiten in einem bereits fortgeschrittenen Alter war und in all den Jahren vom Hotel in makellosem Zustand erhalten wurde.

In kleinerem Massstab hat der Architekt auch die beiden Barbereiche des Carlyle in New York und des Grand Hotel Plaza in Rom gestaltet, die beide als Vorläufer für die heute beliebte Form der engen Zusammenarbeit zwischen renommierten Designern und ikonischen Hotelinstitutionen auf der ganzen Welt gelten.

Mongiardinos meisterhafte Verwendung von althergebrachten Techniken im exzentrischen und historistischen Stil findet im grosszügig angelegten, palastartigen Empfangsbereich des Hotels eine würdige Heimat. Mit 80 Jahren zollte der Architekt der Vergangenheit Tribut und entwarf für den Raum mit doppelter Deckenhöhe eine Reihe von auffälligen, hellen Intarsien-Trompe-l’œil-Bildern, die von passenden Holzpilastern eingerahmt werden. Das Zusammenspiel der ineinander übergehenden und faszinierenden Illusionen von Tiefe und Licht verleiht dem gesamten Raum eine atemberaubende Atmosphäre. Seine gewagte Wahl der Ornamente gab ihm die Möglichkeit, mit einer Vielzahl von reichen Holzarten und der komplizierten Kunst der perspektivischen Zeichnung zu spielen, um gleichzeitig Dörfer und Innenräume nachzubilden, die an das ländliche Leben im Engadin erinnern, aber auch an die üppige palladianische Architektur.

Mongiardinos Faszination für die bildlichen und handwerklichen Meisterleistungen, die auch bei den von ihm verehrten grossen Renaissance-Meistern und Handwerkern Anwendung fanden, begann mit der Entdeckung des Studiolos im Palazzo Ducale in Gubbio, einem beeindruckenden, mit Täfelungen versehenen Raum aus dem 15. Jahrhundert, der als Studierzimmer für den Adligen Federico da Montefeltro konzipiert war. Wenngleich in bescheidener Zurückhaltung, finden sich weitere Beispiele dieser Technik im Gesamtwerk des Architekten, so etwa im atemberaubenden «Casa Sharp» in Manhattan oder im Haus von Elsa Peretti in den toskanischen Hügeln. Im Kulm finden sich die Paneele in Kombination mit Plüschteppichen und geschnitzten Polsterstühlen, die sich schlau um einen Tagesplan des benachbarten Cresta Run gruppieren, der so für seine Mitglieder, langjährige Stammgäste des Hotels, gut sichtbar ist.

Über eine breite Treppe gelangt man in eine ganz andere Atmosphäre, die an die fantastische Welt eines prächtigen mittelalterlichen Gobelins erinnert. Samtig weiche, aufeinanderfolgende Schichten aus rotem und goldenem Brokat umhüllen den Besucher, während grosse Kronleuchter, die auch in Versailles nicht fehl am Platz wären, den Raum erhellen. Auf spielerische Weise werden die charakteristischen von Mongiardino stringent angewendeten maximalistischen Muster auf Pilaster, Vorhänge und Wände übertragen, die sich auf magische Weise mit der tiefen Kassettendecke und den monumentalen Kaminverkleidungen vereinen, die selbst den prunkvollsten römischen Palazzi würdig wären. Sein Faible für alles Bizarre und Nichtalltägliche, das der Meister in den meisten seiner Projekte zum Ausdruck bringt, schlägt sich in einer Fülle kleiner, skurriler Details im Raum nieder: geheimnisvolle Porträts und schmiedeeiserne Waffen scheinen verzaubert. Es ist tatsächlich ein Zauber am Werk hier, orchestriert vom italienischen Meister. Sogar an den dunkelsten Wintertagen verleiht die Buntglasdecke dem weitläufigen Raum eine unvergleichlich lichte Qualität, wobei die vorwiegend warmen Farbtöne durch das prasselnde offene Feuer und das sanfte Klappern der Tassen auf den silbernen Tabletts noch betont werden.

Von der Strasse abgeschirmt, wirkt das Ballett der weissen Jacken, die durch die mit Bullaugen versehenen Schwingtüren ein- und ausgehen, wie ein exaktes und harmonisches Räderwerk, mit dem das Kulm zur Teestunde seine Gäste verwöhnt. Die goldene Lobby mit den drei grossen Erkerfenstern, die den Blick auf den ruhigen See freigeben, bildet einen eigenen Fokuspunkt. Genau hier, in diesen königlichen Sesseln und dank dieses einzigartigen historischen Prismas, das auf die weite Aussicht über das südliche Oberengadin gerichtet ist, fühlt man sich im Zentrum einer aussergewöhnlichen Landschaft.

Zwar wird die Schweizer Handwerkskunst durch die kunstvollen Holzarbeiten gefeiert und man spürt ein unverkennbar italienisches Flair, doch auch ein Hauch britischer Eleganz durchzieht den Raum und erinnert an die unverwechselbare Aura, die von den ältesten Mitgliedern der internationalen und pulsierenden Gesellschaft von St. Moritz ausgeht.

Zweifellos gehören die gut erhaltenen, authentischen Mongiardino-Zimmer zu den ganz besonderen Schätzen des Kulm. Sie beherbergen täglich neue und alteingesessene Gäste und bewahren bis heute die kreative Aura eines Meisters, der eine ganze Generation von Kennern und Kulturschaffenden beeinflusst hat. Heute sind diese Räume, die als eines der letzten Projekte Mongiardinos im Zentrum des faszinierenden Kulm-Hotelkomplexes stehen, ein bleibendes Zeugnis seines faszinierenden künstlerischen Erbes und der noblen Tradition der Gastfreundschaft. 

Cécile Christmann ist eine in Paris lebende Architektin, Innenarchitektin und Kuratorin für den Verlag Assouline sowie Schriftstellerin und künstlerische Leiterin. Sie reist leidenschaftlich gern und schreibt regelmässig über Hotels, Gebäude und Städte, und zwar mit Schwerpunkt auf Architektur, Persönlichkeiten und Geschichte.