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Stories
Dracula Club

Dracula Club

Einmal, nach dem Apéro, ging ich zu Angelo, meinem Freund und Sommelier im Kulm, und sagte, dass ich heute leider nicht kommen könne, weil ich im Dracula essen sei. Er sagte, das wäre ganz wunderbar und dass Fabio dort arbeite, ein Grande, der lange im Hotel du Cap war. Leute wie die beiden gibt es eigentlich nicht mehr, sie sterben früher oder später aus. Er sagte, ich solle ein Sakko tragen, aber ich trage, wie es scheint, sowieso immer eins.

Als ich das letzte Mal im Dracula war, trat eine berühmte Jazzsängerin auf, die ich nicht kannte aber sehr gut war und normalerweise nur vor zwanzigtausend Leuten auftritt. Das ist für mich irgendwie dieser Club: Ein paar Irre, ein paar Reiche und ein paar Reiche, die total irre sind und einen Club gründen, in dem sich sehr berühmte Menschen wieder wie Menschen benehmen, ohne an ihren eigenen Legenden zu scheitern. Sie haben die gleichen Fehler, Eskapaden, schlechten Tage und wollen rauchen, obwohl sie Amerikaner sind. Wer sich an einen Kronleuchter hängen will, hängt sich an einen Kronleuchter, es ist okay, meint Rolf Sachs, auch wenn man jeden Tag den Elektriker bestellen muss. Es kommt einem Kinderglauben gleich, aber die finanzielle Kraft dahinter sorgt für einen aussergewöhnlichen Ernst. Man muss Mitglied sein, und ich glaube, man ist es auf Lebenszeit, aber ich weiss es nicht genau. Ich glaube auch, es sind 168 Mitglieder, und ein paar davon sind schon tot. Wie auch immer, es geht ganz und gar nicht ums Elitäre, weil das Ganze schon elitär genug ist.

Wir assen im Turm. Die Tassen der toten Mitglieder hingen falsch herum an den Wänden und signalisierten Unendlichkeit. Das Essen war fabelhaft, und Fabio, der alte Italiener, glänzte. Er brachte eine Flasche weissen Burgunder, ganz kurz vorm Gefrierpunkt, französische Austern und weisse Trüffel. Mario, Rolf Sachs’ Assistent (Dativ mit Absicht gewählt), ass auch mit. Ein sehr netter Kerl, jedenfalls gab er sich sehr nett. Er hatte auch eine Assistentin, und dann waren noch zwei sehr nette Herren dabei. Das Gespräch war wunderbar. Normalerweise redet man bei solchen Essen nur über Mist und stellt sich vor, sein Glas zu zertrümmern oder auf den Boden zu pinkeln, aber nicht mit diesen Leuten. Sie mussten auch gar nichts trinken, um menschlich und interessant zu sein. Sie hatten irgendwas Geschäftliches zu besprechen, aber wir sprachen nur vom Essen, und der Spanier sagte, dass sein Essen das beste sei, und der Italiener sagte das auch, und ich – als Vertretung aller Portugiesen – genoss und schwieg.

Es gab auch eine wunderschöne Kellnerin mit schwarzen Locken, die mich nervös machte. Sie lief herum, machte die Kerzen an und sorgte für die Stimmung. Mario erklärte mir noch einmal das mit dem Reinkommen. Es ging anscheinend gar nicht nur darum, sondern darum, dass man halt kein Vollidiot sei, der nur Energie zieht, ohne Energie zu dieser einzigartigen Atmosphäre beitragen zu können. Und die Atmosphäre war einzigartig. Und ich hasse Clubs. Aber hier waren eigentlich alle nett, bis auf einen Italiener mit zurückgelegten Haaren, der dauernd an uns vorbeikam, um sich im Spiegel anzugucken. Ich dachte an Gunther Sachs und dass der am Ende seines Lebens – und vielleicht auch schon vorher – gut über seine eigene Eitelkeit hinausgekommen ist. Wenn man das früher oder später nicht tut, wird es leer.

Die Musik war gut, der Schaumwein umsonst, und rauchen durfte ich auch. Ein sehr kräftiger Deutscher mit Fliege lief rum und fragte dauernd, ob’s mir denn auch gut gehe. Am Ende war ich der Letzte und stand mit Fabio an der Bar. Fabio rauchte aber nicht. Ich konnte nicht glauben, dass er immer noch hier war. Er erzählte Geschichten aus Gstaad von Elizabeth Taylor, die mit dem ganzen Dorf tanzte. Mit mir tanzte die Kellnerin nicht, aber er würde, wenn er könnte, ein gutes Wort einlegen.

Autor: Konstantin Arnold