Ein Morgen mit Heinz E. Hunkeler (nach einer Nacht im Dracula Club)


Am Morgen nach einer langen Nacht traf ich Kulm-Hoteldirektor Heinz E. Hunkeler. Natürlich war ich zu spät, weil es nicht der nächste Morgen war, sondern drei Stunden später. Er nahm mir das aber nicht übel, sondern benahm sich diplomatisch und zuvorkommend. Er sagte, kein Problem, er hätte sowieso noch etwas zu tun gehabt, und fragte, wie es war. Ich sagte, es sei total toll gewesen, und er meinte, es sollte aber nicht die Wahnsinnsnacht gewesen sein. Er hatte alle Zahlen im Kopf. Die Big Spender wären nicht da gewesen – wie auch? Ich sagte, ich habe wie einer getrunken, aber nichts gezahlt. Ich lachte, und er lachte dann auch.
Das Erste, was Heinz morgens macht, ist die Zahlen ansehen: Wo gingen wie viele Flaschen Dom Pérignon um wie viel Uhr auf welches Zimmer? Ich meine, der Kerl war heute um sechs Uhr schon schwimmen. Er trug einen wunderbaren blauen Anzug mit Nadelstreifen und sass im Morgenlicht so fest im Sattel wie im Lehnsessel seiner Lobby. Einmal mussten wir rücken, weil die Sonne kam und Heinz zu sehr ins Gesicht schien. Er konnte gut erzählen, sprach in einfachen und schönen Formen mit angenehmer Schweizer Betonung. Es war auch angenehm, weil ich noch nicht reden konnte und es schön war, zu sehen, wie natürlich er sich hier im Raum bewegte.

Heinz E. Hunkeler – Ein Hotelier, der die Zukunft mit Tradition gestaltet
Heinz ist im Kulm aufgewachsen. Als Kind spielte er zwischen den Saisons im Hallenbad Fussball. Heute bildet er zusammen mit seiner Frau ein echtes Hotelierspaar, das sogar noch hier wohnt. So etwas gibt es kaum noch. Wir sprachen ein wenig über die Kraft der Routinen und dass hinter jeder Leichtigkeit eine Menge Arbeit steckt. Wer sich morgens fragt, was er isst, anzieht und tut, hat schon viel Zeit mit Denken verloren. Die wichtigste Eigenschaft eines Hoteldirektors ist jedoch, dir für den Moment, den du mit ihm verbringst, der wichtigste Mensch der Welt zu sein. Sobald er aus der Tür geht, bist du vielleicht vergessen, aber das ist egal. Sein Job ist es, dieses Hotel ins nächste Jahrhundert zu führen, damit es die Welt von gestern auch morgen noch geben wird und ihm die Gäste nicht fremdgehen. Dafür akzeptiert er sogar Pizzaschachteln auf den Gängen. Für die Trends unserer Zeit hat er sich Leute angestellt.
Zyklen der Zeit und die Bedeutung guter Mitarbeiter
Manchmal sagt man, die Zeit verginge in Zyklen, weil der Mensch ihr Vergehen so besser erträgt. Die kulturelle Ausformung dieser Zyklen nennt man Mode und deren melancholische Wiederaufnahme Nostalgie. Dabei geht es doch darum, Dinge zu durchleuchten und ihre dauernde Wiederholung auf eine Essenz zu destillieren, die einen Augenblick lang ewig wird. Nichts ist für immer. Die Fluktuation ist schwer zu ertragen. Viele Gäste kommen nicht zuletzt auch wegen der Angestellten. Gute Angestellte sind schwer zu finden – und zu halten. Deshalb haben sie für 25 Millionen gerade die Mitarbeiterunterkunft renoviert. Früher, meint Heinz, gab es geteilte Zimmer; heute gibt es ein Gym, Daunendecken, Ausgleichstage und Chiasamen.

Ein Blick in die Kulm Lobby
Nach dem Treffen mit Heinz ging ich völlig verballert noch ein bisschen im Hotel herum. Man denkt immer, jetzt ist es zu Ende, aber das war es noch nicht. Ich setzte mich in diese Lobby, deren Gemütlichkeit ohne Schlaf kaum zu ertragen war. Ich nickte ein, die Wand im Rücken, die Welt im Blick. Es fällt wieder einmal auf, wie schön diese Stühle sind. Es ist einem schon beim ersten Mal aufgefallen, aber noch nicht, wie sehr einem das aufgefallen ist. Sie sind bunt und haben Frauengesichter in Gold am Ende der Armlehnen, über die man beim Sitzen streicheln kann. Wenn man den halben Tag dort verbringt und keine Hemmungen hat, trifft man viele verrückte Leute. Opernsänger, die jetzt Krebs mit Protonen heilen, Leute, die Brot und Juwelen im selben Laden verkaufen, und nette slowenische Kellner. Es ist das wahre Wohnzimmer von St. Moritz. Die Lobbys mancher Hotels sind zu hektisch, zu viele Leute, die da sein müssen – die üblichen paar Tage im Jahr: Hallo sagen, das Spiel spielen, wieder gehen. Manche sind auch zu gross, um wirklich gemütlich zu sein, aber wenigstens kann man an der Bar rauchen.
Was ist also das Kulm für mich? Auf jeden Fall immer Tweeds und die Lobby, Cornelius, der Concierge, der Sommelier im Dracula und der Frühstücksaal, und eine Portugiesin, die in weissen Skikleidern, mit braunem, zusammengebundenem Haar und goldenen Ohrringen gerade die Lobby entlanggeht. Und was noch? Andrea im Country Club sowieso, der slowenische Kellner, der immer gerne mit mir sprach, wenn ich hier sass, die russische Aristokratin, die jeden Tag Schlittschuh lief und in der Lobby Tee trank – auf jeden Fall aber Heinz E. Hunkeler, der gerne jagen geht und den ich an diesem Tag noch oft gesehen habe, mit vielen Gästen redend und sitzend, bis es dunkel wurde. Keine Ahnung, wie der das schafft.
Autor: Konstantin Arnold
